Erst wenige Tage sind
seit den Weltreiterspielen in Aachen vergangen. Die deutschen
Reiner haben sich glänzend geschlagen – mit der Mannschaft Bronze
nur hauchdünn verpasst und mit prima Ritten für große Sympathie
und Anerkennung gesorgt. Die Halle hat getobt. Alle sind begeistert.
Sollte man denken. Doch was passiert? Kritik und Unmut machen
sich breit. Gerüchte kochen und bauschen sich weiter auf – meist
ohne Hintergrundwissen. Dieses Interview will einen Beitrag leisten,
sachliche Informationen zu reichen. Zu den Themen, von denen man
in der Szene hört. Ein Gespräch mit dem Reining-Bundestrainer
Kay Wienrich.
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Wie
ist Deine Bilanz Reining in Aachen?
Kay
Wienrich: Das ging ja ab dem
Trainingslager in Warendorf los. Kurz gesagt ist meine Bilanz:
Bis zur Verfassungsprüfung grandios, dann für rund einen halben
Tag desaströs und danach wieder grandios. Zum Sport: Unter den
gegebenen Bedingungen war das mehr, als zu erwarten war.
Aber
eigentlich war doch in der Teamwertung Bronze das Ziel?
Kay
Wienrich: Meine Prognose war
Bronze, richtig. Unter den gegebenen Bedingungen haben wir mehr
erreicht, als vielleicht zu erwarten war. Und ich lege mich fest:
Hätten wir mit einer kompletten Mannschaft, also mit einem vierten
Reiter und mit Coeur D Wright Stuff antreten können, hätten wir
Bronze geholt. Coeur hätte mit seinen Stops den entscheidenden
Punkt mehr geholt. Ich sage, meine Prognose und die Wahl des Teams
war richtig. Der halbe Punkt zu wenig ist natürlich ein Wermutstropfen.
Aber ich konnte noch nie so gut mit einem halben Punkt Differenz
leben wie in Aachen.
Und
wie hast Du Aachen erlebt?
Kay
Wienrich: Ich war schon bei
der WM in Spanien dabei, das war bereits grandios. Aber die WM
in Aachen war für alle – auch für die Amerikaner – eine Veranstaltung,
die in dieser Form und mit ihrer Stimmung für alle Beteiligten
mit nichts anderem zu vergleichen und einmalig war. Dazu zähle
ich auch die bisher nicht gekannte Unterstützung der FN etwa durch
die Sportpsychologin Dr. Gabi Bussmann und durch die Physiotherapeutin
Dr. Ina Gößmeier.
Und
die Stimmung im Kader?
Kay
Wienrich: Wir waren eine verschworene
Gemeinschaft. Unser Motto war 4 für 9 bzw. 4 für 10. Damit meine
ich also unseren A-Kader, ggf. nach dem für mich nicht nachvollziehbaren
Verhalten von Volker Schmitt eben möglicherweise um ein Mitglied
weniger. Natürlich gehört zu dieser Betrachtung auch die andere
Seite der Medaille: Die Enttäuschung war schon sehr groß bei denen,
die nicht berufen wurden. Ist ja auch zu verstehen. Aber unser
Kader in Aachen – das war ein verschworener Haufen.
Du
sagtest eben, bis zur Verfassungsprüfung grandios und dann kurz
desaströs. Was ist denn genau bei der Verfassungsprüfung passiert?
Und wie konnte es dazu kommen, dass zwei deutsche Pferde hier
durchfielen?
Kay
Wienrich: Wir wussten, dass
das Pferd von Alexander Ripper für die Verfassungsprüfung ein
Wackelkandidat war. Dazu muss man grundsätzlich wissen, dass eine
Verfassungsprüfung feststellt, ob ein Pferd `fit to compete` ist.
Das lässt natürlich auch Interpretationsspielraum zu. Einfluss
auf eine Verfassungsprüfung hat auch, ob der zuständige Tierarzt
ein Praktiker oder eher ein Theoretiker ist. Ich stelle aber auch
fest, dass man sich dem Urteil beugen muss. Es muss aber auch
zugestanden werden, das man anderer Meinung sein kann.
Warum
war Alexander Rippers Pferd ein Wackelkandidat?
Kay
Wienrich: Das Pferd hatte sich
auf dem Transport nach Aachen eine geringfügige Verletzung in
der Fesselbeuge zugezogen, die sich dann über Nacht entzündete.
Und letztlich zum Ausschluss führte. Bei ihm war es eine 50:50-Chance.
Wir
hatten uns aber entschieden, an unserem ursprünglichen Plan festzuhalten
und es zu versuchen. Das kann man auch positives Denken nennen.
Und
dann fiel mit Coeur auch noch ein zweites Pferd aus. Warum?
Kay
Wienrich: Coeur hat wegen einem
Hornspalt schon öfters Probleme gehabt und ist auch schon durch
andere Verfassungsprüfungen bei CRI`s nicht durchgekommen. Richtig.
Deshalb müssen wir uns berechtigterweise die Frage gefallen lassen,
wieso das Pferd berufen wurde.
Das
möchte ich kurz erklären.
Bitte!
Kay
Wienrich: Coeur musste nach
dem CRI in Dortmund in einer Klinik behandelt werden. Nach Absprache
mit der Klinik erhielt er dann einen Spezial-Hufbeschlag, der
den Strahl mit einer zusätzlichen Platte schützte.
Da
wir um die Probleme wussten, haben wir Coeur umso kritischer betrachtet.
Wir haben ihn jeden Tag auf dem härtest möglichen Belag, nämlich
Asphalt, angeschaut. Und da war immer alles klar. Für uns war
er ganz klar `fit to compete`.
Aber
eben nicht nach Meinung des Tierarztes bei der Verfassungsprüfung!
Kay
Wienrich: Das hat uns kalt
erwischt. Jetzt muss man wissen, dass die Verfassungsprüfung in
Aachen zu unserer Überraschung auf Kies stattfand. Dabei – im
Unterschied zu einem flachen Boden – hat sich die Platte, die
wohl schon vorher leicht verbogen war, in die Strahlspitze gedrückt
und zu einer Taktunreinheit beim Langsamerwerden geführt. Zu diesem
Ergebnis kam der Chefschmied aller deutschen Mannschaften.
Und
dann?
Kay
Wienrich: Da war dann nichts
mehr dran zu drehen. Wir mussten jetzt auf unsere Reiter und auf
das Ersatzpferd setzen. Noch einen Hinweis zum Thema `fit to compete`:
Bei der Americana hat Coeur unmittelbar nach Aachen gezeigt, dass
er `fit to compete` ist.
Dann gehen wir doch mal
die Starter durch. Zunächst Sylvia Rzepka.
Kay
Wienrich: Sylvia hätte mit Golden Mc Jac sogar noch höher
scoren können. Aber dafür war es einfach zu laut. Das hat einen
negativen Einfluss von vielleicht ein bis zwei Punkte gehabt. Aber
nicht, dass ich falsch verstanden werde: Die Stimmung war toll und
nicht zuletzt auch für alle gleich. Golden Mc Jac ist ein gigantisches
Pferd.
Und BV Smart Innuendo?
Kay
Wienrich: Für Innuendo war unter den gegebenen Umständen nicht mehr
drin. Was die Stute unter Grischa gezeigt hat, war klasse. Und zu
Nico Hörmann: Der war die erwartete Bank. Ich bin mit keinem Ritt
auch nur ansatzweise unzufrieden. Die Pferde sind von ihren Reitern
ans Machbare geritten worden.
Kritik ist auch zu hören,
dass die ehemals geltenden Qualifikationskriterien nachträglich
geändert wurden?
Kay
Wienrich: Nach dem CRI in Dortmund hatten wir eine Aktivensitzung.
Da haben wir gemeinsam festgelegt, dass der CRI in Kreuth der wichtigste
ist. Und zwar, weil hier die Bedingungen denen in Aachen am nähesten
kamen. Es war klar, dass wir danach keine neuen Reiter-Pferd-Kombinationen
mehr in den Kader aufnehmen würden. Aber, und das ist entscheidend:
Wir haben in Dortmund einstimmig beschlossen, uns die Möglichkeit
offen zu halten, gute Pferde, die den zum A-Kader gehörenden Reitern
warum auch immer noch zusätzlich zur Verfügung stehen, nachzusichten
und dann ggf. in den Kader aufzunehmen. Solch einen Fall gab es
bei Sylvia Rzepka: Das Pferd hatte aufgrund von einer Darmkrankheit
mehrere Koliken und nach dem CRI in Dortmund auch einen OP-Termin.So
war es ein Kandidat für die Nachsichtung. Aber das galt auch für
das Pferd von Roman Brechtl und auch für Footworks Finest sowie
für den Paint von Steffen Breug.
Der Kader wurde dann letztlich
zum Abschluss des Trainingslagers in Warendorf festgelegt. Welchen
Einfluss hatte dieses Trainingslager auf die endgültige Berufung
des Kaders?
Kay
Wienrich: Ich hatte nicht erwartet, wie viel Einfluss das Warendorfer
Trainingslager nach den vorangegangenen Leistungen tatsächlich haben
würde. Es hatte mitentscheidenden Einfluss.
Und das waren die Kriterien
für die Berufung?
Kay
Wienrich: Sieben Punkte: die Leistung, die Leistungskonstanz des
Pferdes, der Gesundheitszustand, die Ringpräsenz, die Bedingungen
in Aachen (Abreiten, Größe der Arena, Boden…), die Pattern und die
Teamfähigkeit des Reiters.
Und dann war Mercury Starlight
von Steffen Breug nicht wie allgemein erwartet im Kader. Warum?
Kay
Wienrich: Mercury braucht eine lange Vorbereitungszeit. Die Abreitezeiten
auf der WM waren aber begrenzt. Diese Situation haben wir im Trainingslager
nachgestellt, auch mit dem Schritt in die Mitte und dann zunächst
zwei Spins. Passiert ist dies: Mercury ist dieser Situation nicht
einmal gerecht geworden. Nennen wir sein Verhalten in Warendorf
bei dieser Situation mal zappelig. Ich will damit nicht behaupten,
dass dies so auch in Aachen passiert wäre, aber die Gefahr war mir
zu groß bzw. das Verhalten von Mercury hat mich nicht gerade für
eine Berufung motiviert.
Das nächste Gerücht besagt,
Don Boyd, der Trainer des Camps in Warendorf, habe die Mannschaft
aufgestellt?
Kay
Wienrich: Don Boyd hatte eine völlig neutrale Position. Ich verschließe
mich nicht vor Ratschlägen anderer, wenn sie fachlich relevant
sind. Hier geht es schließlich um eine Weltmeisterschaft. Es ist
mehr als legitim, seine Eindrücke abzufragen. Wer behauptet, ich
bräuchte Don Boyd, um ein Team aufzustellen, der kennt mich schlecht.
Fakt ist: die Mannschaft wurde von mir nach den eben genannten
Kriterien aufgestellt – die ich auch mit Videos und Scoresheets
belegen kann –, so dem Disziplinenbeirat vorgeschlagen und von
diesem ohne Änderung einstimmig bestätigt. So bin ich es auch,
der für die Leistung des Kaders gerade stehen muss. Ich glaube,
ich habe auch deshalb den Posten bekommen, weil man weiß, dass
ich auch dafür gerade stehen kann. Über den schlimmen Vorwurf
von Inkompetenz oder Seilschaft an meine Person kann ich eigentlich
nur lächeln.
Und
dann ist Innuendo vom Besitzer und vom Trainer vor dem Start der
Einzelwertung zurückgezogen worden. Deine Meinung?
Kay
Wienrich: Es war allen Beteiligten,
die mit Innuendo was zu tun haben, klar, dass unter diesen Voraussetzungen
Innuendo im Finale über Gebühr hätte beansprucht werden müssen,
um wirklich ihr Potenzial unter einem neuen Reiter voll abrufen
zu können. Innuendo war übrigens von mir als zehntes Pferd in
den 10er-Kader und als fünftes Pferd in den 5er-Kader berufen
worden. Das war der Lohn einer ständig zunehmenden Leistung und
Leistungskonstanz. So wurde sie Ersatzpferd für Aachen.
Innuendo
ist unter Maik Bartmann für die Deutsche Meisterschaft qualifiziert.
Da gab es jetzt auch noch andere Ziele für dieses Pferd.
Für
mich als Bundestrainer war es eine bittere Pille, dass Innuendo
in Aachen nicht mehr antrat. Aber dort hätte sie schon sehr gefordert
werden müssen. Und das wollten eben Besitzer und Trainer der Stute
nicht. Und diese Entscheidung gilt es schlicht zu akzeptieren.
Sie müssen das Recht haben, so etwas entscheiden zu können. Letztlich
war es eine einvernehmliche Entscheidung aller – inklusive von
Herrn Wendt, dem Chef de Mission.
Gesagt
sein muss aber auch: Das Pferd hat unter Grischa Tolles gezeigt
– und Grischa Ludwig und Maik Bartmann haben ihr großes Können
bewiesen, wichtige Details der feinen Abstimmung auf diese Stute
in kürzester Zeit weitergeben bzw. aufnehmen zu können. So kamen
218,5 Punkte zustande.
Und
wie geht es jetzt weiter? Equipe-Chef Andreas Mamerow ist wenige
Tage nach Aachen aufgrund heftiger Anfeindungen zurückgetreten.
Und Du?
Kay
Wienrich: Die Aufgabe macht
mir einen großen Spaß und es ist mir auch nach wie vor eine große
Ehre, diese Aufgabe wahrnehmen zu dürfen. Ich mache gerne weiter.
Meine nächste Aufgabe ist die Deutsche Meisterschaft in Bad Salzuflen.
Dann werden sich am Jahresende FN, Disziplinenbeirat und ich zusammensetzen
und sehen, wie es weitergeht.
Aber
eines möchte ich noch aussprechen: nämlich eine Lobeshymne auf
alle Besitzer und alle Beteiligten, die sich für das Team eingesetzt
haben und deshalb auch am Erfolg beteiligt sind. Danke!