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Vor allem schätzt auch heute noch der Wanderreiter
ein Packpferd, das am Führstrick nebenher
läuft und dem Reitpferd dabei auf seinem
langen Weg einen Teil seiner Last abnimmt.
Auch die Islandpferdereiter pflegen das Handpferdereiten
noch sehr engagiert. Für die Bauern
in Island ist es sogar eine Selbstverständlichkeit,
auch mehrere Pferde mitzunehmen,
wenn sie sie beispielsweise von einer Weide zur
anderen bringen wollen. Für viele Nomadenvölker,
die auf Pferden durch die Lande zogen, war
das Handpferdereiten ebenfalls ein fester Bestandteil
ihrer Reiterei. Doch wenn man in der
Geschichte zurückblickt, ist es nicht einmal notwendig,
über die Grenzen zu sehen, denn auch
die Urahnen unserer Bauern, die die Pferde zum
Ackern vor den Pflug spannten, pflegten das
Handpferdereiten, wenn sie die Tiere auf eine
Weide oder zum Rossmarkt brachten.
Dass die Kunst des Handpferdereitens fast in
Vergessenheit geraten ist, lässt sich eigentlich
nur auf die Entwicklung des Reitsports zurückführen,
die mit der turniermäßigen Sportreiterei
kaum mehr einen Platz für eine derartige Beschäftigung
mit Pferden frei lässt. Dabei kann
das Handpferdereiten dem Pferdehalter gerade
heute viele wertvolle Vorteile beim Training und
Ausbilden von Pferden bieten. Handpferdereiten
bietet sich zudem für jedes Pferd an, ob Fohlen
oder Pferdegreis, ob Shetlandpony oder Friese.
Kein Pferd muss deshalb im Stall bleiben, nur
weil kein geeigneter Reiter vorhanden ist oder
weil es aus anderen Gründen nicht reitbar ist.
Geeignet für jung und alt
Schon das Fohlen kann an der Seite seiner Mutter
die Welt „draußen“ kennenlernen. Bereits
wenige Wochen nach der Geburt, wenn die
Mutterstute wieder leicht geritten werden kann,
ist es für das Fohlen ein besonderes Erlebnis,
an der Seite seiner Mutter ins Gelände gehen
zu dürfen. Oftmals kann das Fohlen auch frei
mitlaufen, doch in verkehrsreicheren Gegenden
ist dies natürlich nicht ratsam. Wenn das Fohlen
am Wegesrand etwas Interessantes zum Knabbern
entdeckt hat, bleibt ein Fohlen erfahrungsgemäß
ohne Weiteres auch mal einige hundert
Meter zurück, bevor es - nicht selten in flottem
Galopp - der Mutter nachjagt. Darum dürfen
keine Straßen und Gefahrenstellen in Sichtweite
vorhanden sein, damit jegliche Gefahr für das
Fohlen ausgeschlossen werden kann. Sobald
ein Fohlen ins Gelände mitgenommen werden
soll, sollte es darum bereits halfterführig sein,
damit es an Gefahrenstellen (an Straßen, Eisenbahnlinien
usw.) am Strick neben der Mutter
mitgeführt werden kann.
Das Handpferdereiten ist zudem ein gutes Training
für ein- und zweijährige Pferde. Zum einen
werden die Muskeln bereits aufgebaut und das
Kreislaufsystem trainiert, zum anderen lernen
die jungen Pferde schon viele Dinge kennen, die
Pferd und Reiter im Gelände begegnen können.
Sobald das junge Pferd unter den Sattel genommen
wird, ist es im Gelände schon sehr viel sicherer
und muss sich neben dem anfangs noch
ungewohnten Reitergewicht nicht auch noch
mit unbekannten Situationen im Gelände auseinandersetzen.
Wenn ein junges Pferd schon als
Handpferd alle möglichen Gefahren kennen gelernt
hat, kann es sehr viel stressfreier an seine
zukünftige Aufgabe als Reitpferd herangeführt
werden.
Da ein Pferd als mitlaufendes Handpferd keinen
so großen Belastungen ausgesetzt ist wie ein
Pferd, das zusätzlich den Reiter tragen muss,
eignet sich das Handpferdereiten ebenso für
alte Pferde, die nicht mehr geritten werden.
Pferde, die als Reitpferde aus Altersgründen
ausscheiden, fristen oft ein nahezu unwürdiges
Dasein in einer Box oder in einem kleinen Auslauf.
Auch wenn sie möglicherweise nicht mehr
so gut auf den Beinen und als Reittiere nicht
mehr einsatzfähig sind, tut ihnen ein Spaziergang
im Schritt meist sehr gut. Wenn man nun
neben dem Pferd nicht gerne herläuft, bietet
sich das Handpferdereiten geradezu an. Dann
allerdings sollte man sich selbstverständlich
auf die Gangart Schritt beschränken. Auch alte
Pferde wollen nicht vergessen werden, und sie
freuen sich über jede Abwechslung.
Bei Zeitmangel
In unserer hektischen Welt finden viele Reiter
nicht mehr regelmäßig Zeit, ihr Pferd zu bewegen.
Halter von zwei oder mehr Pferden können
in der Regel auch nur ein Pferd genügend bewegen
und trainieren. Doch ein Beistellpferd,
das möglicherweise nur angeschafft worden ist,
um dem eigentlichen Reitpferd Gesellschaft zu
leisten, kann sehr gut auch an der Hand mitgeführt
werden. Zwei Pferde können dann „auf
einen Streich“ bewegt werden, wenn die Zeit
nicht reicht, um beide Pferde nacheinander zu
reiten. Es bietet sich auch in Haltergemeinschaften
an, ein anderes Pferd an der Hand mitzuführen,
wenn beispielsweise dessen Besitzer in
Urlaub oder krank ist und darum verhindert ist,
sein Pferd selbst zu bewegen.
Besonders empfehlenswert ist es auch, rückenkranke
Pferde an der Hand mitzuführen, wenn
sie nicht geritten werden können. Dadurch kann
in der Zeit, in der sie als Reitpferde ausfallen,
die Kondition erhalten werden. Ob es nun ein
Satteldruck ist, der ausheilen muss oder ob es
sich um ein Pferd mit Sommerekzem handelt
- dem Einsatz als Handpferd steht dabei nichts
im Wege. Für Pferde, die gerade eine Verletzung
hinter sich haben und langsam wieder antrainiert
werden sollen, bietet sich das Handpferdereiten
ebenso an. Die Sehnen und Bänder
werden beim freien Mitlaufen weniger beansprucht,
als unter dem Reiter oder beim Longieren.
Durch das Laufen auf dem Kreisbogen wird
der Bewegungsapparat beim Longieren relativ
stark belastet. Beim Handpferdereiten läuft das
Beipferd völlig ungezwungen nebenher, kann
aber gut unter Kontrolle gehalten werden, wenn
es zu übermütig werden sollte. Lässt man das
Pferd auf der Weide laufen, hat man auf dessen
Bewegungen keinen Einfluss. Gerade nach
Beinverletzungen wie Verrenkungen, Verstauchungen
oder Bänderüberdehnungen ist der
kontrollierte Aufbau der Muskeln wichtig, damit
das Pferd keinen Rückschlag erleidet.
Ein zweites Pferd ist auf einem Wanderritt außerdem
eine große Unterstützung für das Reitpferd,
da das gesamte Gewicht, das ein Pferd
transportieren müsste auf zwei Pferde aufgeteilt
werden kann. Dabei kann der Reiter auch
sein Reitpferd unterwegs wechseln, damit ist
ein Wanderritt für die Pferde auch nicht so anstrengend.
Meistens hat das Zusatzgepäck nicht
das Gewicht eines Reiters, so dass sich ein Pferdewechsel
anbietet, weil das Packpferd in der
Regel weniger zu tragen hat.
Reiterangst verschwindet
Sogar für die Reiterausbildung ist das Handpferdereiten
nützlich. Der unsichere Reiter fühlt
sich viel sicherer, wenn ihn ein erfahrener Mitreiter
„an die Leine“ nimmt. Die Grundangst
eines jeden Reitanfängers ist immer, dass ihm
sein Pferd davonlaufen könnte. Darum halten
sich auch viele Reiter am Zügel fest, anstatt ihn
zum Lenken zu benutzen. Auf einem braven und
sicheren Schulpferd kann so auch der Reitanfänger
einen herrlichen Ausritt erleben, wenn
das Pferd vom Mitreiter geführt wird. Die Zügel
behält allerdings der Reiter auf dem Beipferd
selbst in der Hand, denn hier soll der Führstrick
nur eine zusätzliche Sicherheit darstellen. Auch
Kinder kann man so an das sichere Reiten im
Gelände heranführen. Dabei kann es durchaus
auf einem Shetlandpony beritten sein, während
der erwachsene Begleiter ein Großpferd reitet.
Es sollte dann allerdings darauf geachtet werden,
dass die Gangarten so angepasst werden,
dass das Kind auf dem „Shetty“ nicht ständig
im „Zackeltrab“ nachgezogen wird, weil das
Großpferd einfach einen raumgreifenderen
Schritt hat. Hier sollte man sich immer nach
dem schwächeren Reiter (in diesem Falle das
Kind auf dem Shetlandpony) richten, der die
Gangart und Geschwindigkeit vorgibt. Ein guter
Reiter kann sein Pferd jeder Geschwindigkeit
anpassen.
Beim Handpferdereiten mit sehr unterschiedlich
großen Pferden muss man bedenken, dass
das kleinere Pferd aufgrund der meist höheren
Gangart beziehungsweise schnelleren Schritte
mehr leisten muss als das größere Pferd. In der
Regel wählt man darum auch das größere Pferd
als Reitpferd. Trotzdem hat der Reiter nun auch
für das mitlaufende Pferd Verantwortung, das
genauso wenig überfordert werden darf wie
das Reitpferd. Man kann jederzeit vom Großpferd
aus auch ein Shetlandpony mitführen,
das aber wahrscheinlich dann die ganze Zeit
über gezwungen ist, mitzutraben, während das
Großpferd im Schritt geht. Dabei ist das Galoppieren
in den meisten Fällen gestrichen, weil
das kleine Pony hier nicht mehr mithalten kann.
Wenn man also mit zwei Pferden unterwegs ist,
muss man auf die Belange von beiden Tieren
eingehen können, damit kein Pferd überfordert
ist. Bei gut ausgebildeten und annähernd
gleichgroßen Pferden ist auch das Galoppieren
nebeneinander kein Problem.
Genauso gut muss man beim Handpferdereiten
die Rangfolge der Pferde kennen, und es muss
sichergestellt sein, dass die Pferde nicht gerade
während des Ritts auf die Idee kommen,
ihre Rangstreitigkeiten auszufechten. In den
meisten Fällen gibt es beim Handpferdereiten
keine Probleme, da Pferde als Herdentiere sogar
sehr gerne neben einem Artgenossen mitlaufen.
Sie fühlen sich in der Rolle des Handpferdes in
der Regel recht wohl. Dennoch muss der Reiter
einige Regeln beachten, will er ein Pferd als
Handpferd mitnehmen. Sowohl das Reit- als
auch das Handpferd müssen eine fundierte Ausbildung
erhalten. Insbesondere sollte das Reitpferd
einhändig zu reiten sein, damit der Reiter
die zweite Hand zum Dirigieren des Handpferds
zur Verfügung hat. Die Verantwortung und das
reiterliche Vermögen des Reiters sind außerdem
wichtige Kriterien, um sicher mit Handpferd reiten
zu können.
Quelle:
Renate Ettl für westernreiter (EWU)
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