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Sinnvoll eingesetzte Bodenarbeit kann dazu beitragen, dass wir es beim Anreiten
eines Pferdes deutlich leichter haben, indem das Pferd eine gewisse Routine aus
der Bodenarbeit unter dem Sattel nutzen kann. Jedoch erlebe ich immer wieder,
dass hier zwei elementare Dinge verwechselt werden: Sicherlich tragen die meisten
Übungen vom Boden dazu bei, eine bessere Kommunikation mit dem Pferd
zu erzielen und einen Zugang zu dem Tier zu bekommen. Es gibt jedoch Übungen,
die speziell das Anreiten erleichtern und bestimmte reiterliche Hilfen bereits vom
Boden aus simulieren. Diese dienen natürlich auch der besseren Kommunikation.
Andererseits gibt es aber auch Übungen, die ausschließlich der Kommunikation
dienen und keinen direkten Einfluss auf reiterliche Hilfen haben.
Hierzu ein ganz simples Beispiel:
Kürzlich zeigte mir ein Teilnehmer eines meiner
Seminare die Übungen, die das Pferd vom Boden
aus für das Rückwärts gehen erlernt hatte.
Das Pferd konnte bei der „Klapperschlange“
(Wackeln mit dem Seil) beim „Taktschritt“ (Zügiges
auf das Pferd zugehen im Soldatenschritt)
und bei der „Schere“ (Zwei Gerten die sich in
Front des Pferdes kreuzten) rückwärts gehen.
Das Pferd reagierte bei allen Versuchen sensibel
und wich nach hinten. Vermutlich hätte dieses
Tier auch noch den Schwan, Flamingo und Gabelstapler
erlernen können, wenn es dafür Zeichen
geben würde. Jedoch fragte ich mich beim
Betrachten, welche Variante der Reiter wohl
vom Sattel aus bevorzugt, und erkannte bei all
diesen sehr sinnvollen Übungen zur Verbesserung
der Kommunikation aber keine Parallelen
zu reiterlichen Hilfen. Und so war es dann auch
– das Pferd ging vom Sattel aus sehr bescheiden
rückwärts.
Ziele setzen – auch bei der Bodenarbeit
Aus diesem Grund unterscheide ich Übungen
vom Boden und hinterfrage, welchen Zweck
sie erfüllen sollen – ob sie „nur“ dem besseren
Verständnis zwischen Pferd und Mensch dienen
oder ob sie auch Hilfen simulieren. Aus diesem
Grund gibt es in meinem Programm nicht viele
Übungen vom Boden. Diese sind jedoch zielorientierte
und zum größten Teil dem Reiten gewidmet.
„Die Kunst in der vorbereitenden
Bodenarbeit liegt darin, die Übungen
auch in den Sattel zu transferieren.
Leider scheitern viele Leute daran,
die sich eigentlich eine beeindruckende
Kommunikation vom
Boden erarbeitet haben.“
Vertrauen und Respekt gewinnen
Durch sinnvoll angewandte Bodenarbeit versuchen
wir, einen Zugang zum Pferd zu bekommen
und wollen dem jungen Tier Sicherheit geben.
Seine vertraute Herde fehlt ihm, und nun sollten
wir versuchen, durch verständliche Signale
in die Rolle des schutzbietenden Alphatieres zu
schlüpfen.
Für den „Ersten Draht“ zum Pferd bieten sich
sinnvolle Übungen vom Boden aus an, die dazu
führen sollen, dass wir langfristig ein Vertrauen
– Respekt-Verhältnis erzielen und Kontrolle
über die einzelnen Körperteile bekommen.
Falsch wäre dabei zu glauben, dass wir dieses
Vertrauen-Respekt-Verhältnis binnen weniger
Minuten erzielen. Natürlich ist es keine Kunst,
durch bestimmtes Verhalten ein Pferd dazu zu
bringen, dass es dem Menschen nach wenigen
Augenblicken folgt. Solche Reaktionen sind
jedoch nur Ansätze. Vertrauen bekommen wir
erst nach einiger Zeit. Wenn das Pferd sich bei
uns geborgen fühlt, gerne mitkommt und dabei
mental zufrieden bleibt, können wir von Vertrauen
sprechen. Es ist ein Prozess und es gehört
sehr viel Horsemanship dazu.
Alphatiere kontrollieren rangniedere Tiere in
ihrer Bewegung, geben die Fluchtrichtung vor,
überqueren als erstes einen Fluss und verteidigen
die Herde an der Front. Dadurch bieten
sie den rangniederen Tieren einen Schutzraum,
in dem „mentale Zufriedenheit“ herrscht. Als
Gegenleistung beanspruchen Alphatiere Platz,
nehmen sich die beste Futterstelle oder trinken
zuerst.
Das heißt: Gelingt es uns, die Bewegungsrichtung
des Jungpferdes zu bestimmen und es mobil
zu machen, haben wir ein erstes Samenkorn
in Richtung Respekt gepflanzt. Bieten wir dem
Pferd innerhalb der Arbeit Ruhezonen, auf die
das Pferd gerne zurückgreift, schaffen wir erstes
Vertrauen. Ob man für diese ersten Einheiten
nun in einem Roundpen arbeitet oder nur einen
Platz zur Verfügung hat, ist nicht entscheidend.
Das erste „Longieren“
Ziel: Das Pferd kontrolliert bewegen, Zugang
finden, Aufmerksamkeit fordern und lösen.
Ich beginne meistens am kurzen Bodenarbeitsseil
in der Ecke des Reitplatzes. Hier versuche
ich das Pferd mobil zu bekommen und die Richtung zu kontrollieren. Eine Verlängerung des
Armes in Form einer Gerte ist hier sinnvoll, da
manch junges Pferd überreagiert und auch mal
versucht, den Treibenden zu kicken. Aber auch
unseren „Ottfried Fischer-Typ“ mit seiner Seelenruhe
kann ich nun mobiler machen, ohne
mehr als er selbst laufen zu müssen. Und falls
„Ottfried“ sich dabei im Hals fest macht und die
Flucht in der Diagonalen durch den Platz sucht
– oder sich das Ganze mehr wie „Drachen steigen
lassen“ statt wie ein erster Zugang anfühlt
– der holt sich einen Springständer in die Bahn,
spannt zwei Longen vom Zaun zum Ständer auf
10m x 10m und hat eine brauchbare Begrenzung.
Hier gilt es, „negative Erfolgserlebnisse“
(unerwünschte Verhaltensweisen, die das Pferd
erfolgreich anwendet) für das Pferd zu vermeiden!
Ottfried sollte sich also keinesfalls wie
seine Vorfahren beim Fuhrmannstag benehmen
und alles, was am anderen Ende hängt, wegziehen.
Nun versuche ich, das Pferd in kontrollierte
Richtung „zur Arbeit“ (vorzugsweise Trab) zu
schicken. Wichtig dabei ist es, das Pferd zu beobachten.
Anfangs wird es sich vielleicht nicht
lösen, wechselt womöglich die Gangarten und
wirkt verunsichert. Das ist normal, wird sich
aber oft schon nach einigen Minuten bessern
und beständiger werden, wenn man nur mehrfach
die Woche daran arbeitet. Also versuche
ich, das Pferd am Anfang mobil zu halten. Ist
das Pferd verspannt und völlig unaufmerksam,
muss es noch etwas arbeiten und ich beobachte
seine Gestik. Dreht es mir ein Ohr her, schaut
zu mir oder widmet mir selbst durch Zufall etwas
Aufmerksamkeit, nehme ich sofort dem
„treibenden“ Druck weg und biete dem Pferd
eine Pause an, indem ich mich ganz entspannt
wegdrehe. Oftmals kommt ein Pferd dann schon
zu mir und sucht eine Pause. Diese gewähre ich
dem Pferd dann, sofern es relaxt dabei wirkt.
Reagiert das Pferd bei der angebotenen Pause
mit Unaufmerksamkeit und Unruhe, schicke
ich es sofort wieder zur Arbeit und versuche es
nach wenigen Runden erneut. Kurz und knapp
gesagt: Sucht es seine Artgenossen, wiehert
oder zeigt Desinteresse, mache ich es sofort
mobil und damit klar, dass ich nun diese Rolle
der schutzbietenden Artgenossen übernehme.
Ich bewege das Pferd und biete einen Schutzraum
zum Entspannen an.
„Bald lernt es, mehr auf meine Signale
zu achten. Desinteresse und Unaufmerksamkeit
führen zu „mehr Arbeit“;
Aufmerksamkeit dagegen zu Pausen und
damit zu innerer Losgelassenheit.“
Wenn ich das Pferd anhalten möchte, gibt
es für mich zwei Möglichkeiten:
Entweder ich schneide ihm den Weg ab, indem
ich vor die Schulter trete, oder ich gehe zielstrebig
auf die Hüfte des Pferdes zu, habe dabei
Kontakt über das Seil zum Kopf und „treibe die
Hüfte weg“. Geschieht dies, höre ich sofort auf
zu treiben und gewähre eine Pause. Kurz und
knapp gesagt, ich halte das Pferd über Position
an. Sollte „Ottfried“ nicht wahrgenommen
haben, das ich vor seine Schulter treten und will
seelenruhig über mich drüber laufen, „erschrecke“
ich ihn bevor es zum Crash mit mir kommt
– groß machen, Arme hochreißen und wild mit
dem Strick winken! Hält das Pferd an, gebe ich
ihm eine Pause, lasse es atmen und streichele
es an der Stirn.
Was ich bei dieser Arbeit nicht mache, ist,
nur die Stimme einzusetzen, da das Pferd
noch gar nicht versteht, was gemeint ist. Es
gibt Menschen, die dann ausschließlich
„Whow“ oder „Steh“ sagen. Meist läuft das
Pferd dann weiter und man hört noch öfters
und bis weit in den Abend hinein ein „Steeeeh
... steh jetzt ... brrr ... haaaalt“ u.s.w.. Ich arbeite
am Anfang gerne mit Position und gebe
parallel, später dann zuerst ein akustisches
Kommando.
„Wann immer ich dem Pferd in seiner Ausbildung ein
akustisches Signal gebe und das Pferd versteht dieses
nicht, muss ich ihm sofort zeigen, was ich meinte.“
Rückwärts
Ziel: Rückwärts als Grundlage für das
Anhalten vom Sattel aus mit Sidepull
Eine Übung, die für mich so simpel wie wichtig ist, ist das rückwärts Richten
an der Hand über Druck auf die Nase – denn genau so richte ich auch
in der Einreitphase vom Sattel aus rückwärts. Wenn das Pferd vom Boden
aus gelernt hat, diesem Druck zu weichen, wird es vom Sattel aus die Hilfe
besser verstehen und entsprechend reagieren. Deshalb stelle ich mich
neben das Pferd, übe etwas Druck auf das Knotenhalfter aus und warte,
bis das Pferd die Lösung (nach hinten weichen) findet und belohne wie
immer mit Pause. Diese Übung ist zielorientiert und dient als Vorbereitung
für das Anhalten vom Sattel aus. Natürlich soll ein Pferd später über
feinere Hilfen als über Druck auf der Nase rückwärts treten. Am Anfang
seiner Ausbildung brauche ich aber diese Hilfe, die später in Minimalhilfengebung
übergeht!
„Für das Anreiten ist es „brotlose Kunst“, wenn jemand „den
Schwan vor dem Pferd tanzt“ oder „die Klapperschlange aus dem
Sack lässt“, damit es rückwärts geht. Solche Übungen dienen
rein der Kommunikation und sollten auch so gesehen werden!“
Schulter weichen lassen
Ziel: Kontrolle der Schulter und Grundlage
für die Lenkung vom Sattel aus.
Wenn wir ein Pferd später steuern möchten, so müssen wir Kontrolle über
seine Schulter bekommen. Können wir die Schulter (und damit Vorderbeine)
seitlich kontrollieren, bekommen wir Lenkung an das Pferd.
„Es ist ein Irrglaube, dass über das Ziehen des Pferdekopfes
nach rechts oder links an der Lenkung gearbeitet wird.“
Das wäre der Fall, wenn die Vorderbeine am Kopf angewachsen wären.
Da sie sich jedoch unter der Schulter befinden, befindet sich auch hier die
„Lenkung“. Deshalb ist es für mich eine wichtige Übung, vom Boden aus
lateral die Schulter und damit die Vorderbeine weichen zu lassen. Hierbei
stehe ich seitlich am Hals und über etwas Druck aus, bis die Schulter
weicht. Später vom Sattel aus sind die Hilfen ähnlich. Das Pferd soll beim
Lenken zwischen zwei Zügel gehen und die Schulter soll vom angelegten
äußeren Zügel und Schenkel weichen. Deshalb ist auch dies eine brauchbare
Übung, die ein Pferd in der Schulter mobil macht und in den Sattel
transferiert werden kann. Später übernehmen reiterliche Hilfen den Druck
von außen.
Dem direkten Zügel nachgeben lassen
Ziel: Dem direkten Zügel nachgeben, damit sich das
Pferd vom Sattel aus leichter stellen lässt.
Damit vom Sattel aus eine Richtungsänderung eingeleitet werden kann
und sich das Pferd später in den verschiedensten Lektionen stellen lässt,
ist es wichtig, dass ein Pferd dem direkten Zügel nachgibt. Unter Umständen
wäre es auch der direkte Zügel, der ein junges Pferd zum Anhalten
bringt, falls es mal erschreckt und etwas kopflos reagiert. Manche Leute
nennen das den „One Rein Stopp“. Ich persönlich mag ihn nur als „Notbremse“
und nicht als grundlegende Hilfe der ersten Wochen.
Damit aber auch meine Pferde dem direkten Zügel besser nachgeben und
sie sich stellen lassen, leiste ich auch hier Vorarbeit vom Boden. Ich stelle
mich seitlich neben das Pferd und fordere es auf, dem Zug durch den
Führstrick nachzugeben. Diese Übung oft wiederholen – und wie immer
ist es wichtig, beim kleinsten Ansatz des Nachgebens selbst den Druck
zu minimieren. Sehr bald gibt ein Pferd dann vom Boden aus sehr gut
seitlich nach, und wenn ich dann das erste Mal auf dem Pferd sitze und
den direkten Zügel des Sidepulls annehme, kommt sofort der Kopf. Es ist
eine elementare Grundlage, dass ein Pferd dem direkten Zug nachgibt
und erleichtert das Anreiten ungemein. Deshalb arbeite ich auch hier zielorientiert
vom Boden für die Kontrolle vom Sattel aus.
Serie Starting Colts
Teil 1: Systematisches und schonendes Training für junge Pferde
Teil 2: Die Voraussetzungen beim Pferd, den Trainingsmöglichkeiten und dem Equipment
Teil 3: Erste Bodenarbeit und Hufe Geben
Fortsetzung folgt…
Quelle:
Stefan Ostiadal
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Petra Roth-Leckebusch für den Bereich Zucht. Zum
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