Texas bietet mehr als nur Ranches, Rinder und Öl! Während
eines dreiwöchigen Urlaubs hat man auch Gelegenheit, eine Ranch
– oder besser die „Equestrian Lodge“ zu besuchen.
Dort können Interessierte das Westernreiten sehr korrekt und
mit dem Ziel feinfühliger Hilfengebung und Verständnis
fürs Pferd erlernen.
Wir sitzen auf unseren Pferden auf dem Reitplatz der Hill Country
Equestrian Lodge nahe Bandera und recken die Arme weit in den blauen
texanischen Himmel, den Oberkörper aufs Maximum gedehnt. „Einatmen
beim Armeheben – ausatmen beim Senken“, lautet die strenge
Anweisung von Dianne Lindig-Lovett, Betreiberin der genannten Lodge
und im besten deutschen Sinne Reitlehrerin. „Und nun die Arme
zur Seite und den Oberkörper nach links drehen und dann nach
rechts“ fährt sie fort, die Bewegung als positives Beispiel
zeigend. Wir, die kleine Gruppe aus vier Reitern – Irene und
Heming aus München, Diane aus dem Staat New York und ich. Alle
drei sind mehr oder weniger Anfänger, ich nenne mich „experienced“
– wenn man das nach 42 Jahren Reiten und regelmäßigem
(Westernturnier)reiten optimistisch so annehmen darf.
Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb und auch ein wenig
aus journalistischer Neugier – habe ich mich darauf eingelassen,
auf Molly, der 18jährigen Quarter Horse Schimmelstute, diese
Stunde mitzumachen und schwinge nun die Arme, um meinen Körper
zu lockern. Vor der Stunde, sie ist die dritte Reiteinheit einer
fünftägigen Horsemanship-Kurses für die drei anderen,
konnten diese auf Videos ihre ersten beiden Versuche ansehen,
die sie an der Longe ohne Sattel auf einem Bareback-Reitkissen
geritten sind. Jetzt sitzen wir glücklicherweise in bequemen
Westernsätteln und nach der aufwärmenden Gymnastik,
die sich durchaus als sinnvoll erweist, geht es los. Anfängertypisch
im Kreis, wobei wir in den Ecken kleine Kreise reiten sollen,
immer unter den kritischen Augen von Dianne und ihrer Mitarbeiterin
Shannon.
Mit ihrer Art des Unterrichts möchte sich Dianne ganz bewusst
von den umliegenden Dude Ranches abheben. Die Trainingsziele der
56jährigen ehemaligen Fitnesstrainerin (was man der drahtigen
Figur auch ansieht) für ihre Schüler sind: Korrekter
Sitz, feinfühlige Hilfengebung, und das Pferd vor allem in
der Hinterhand aktivieren, weil es sich nur dann athletisch korrekt
und vor allem gesund bewegen könne. Wobei die Feinheit der
Hilfen bereits damit beginnt, als Signal für das Antreten
deutlich einzuatmen. „Das ist eine ganz andere Art des Reitunterrichts
als wir ihn aus München kennen“, bestätigt Heming
begeistert. „Wir haben hier schon in unserem ersten Kurs
letztes Jahr in fünf Tagen mehr gelernt als zuhause in mehreren
Monaten und wollen daher auf jeden Fall wiederkommen“.
Und das Lob kommt durchaus berechtigt: Dianne arbeitet
mit den Anfängern an den Basisanforderungen und bleibt geduldig,
wenn sie teilweise etwas länger brauchen, um das Pferd zum
Trab zu motivieren. Ob es am mangelnden Einatmen liegt oder schlicht
daran, dass die schlauen Schulpferde auch im Cowboy Country durchaus
mitbekommen, wer da oben im Sattel die Zügel nicht ganz so
bestimmt in der Hand hat, sei dahin gestellt. Dennoch ist Heming
begeistert von den leichtrittigen Pferden: „Ich muss hier
lange nicht so viel kämpfen wie zuhause, sie sind total ruhig
und reagieren auch bei meinen Hilfen deutlich schneller.“
Am Ende klappen auch die schwierigeren Übungen gut und alle
sind mit ihren Erfolgen zufrieden: „Well done, that was
great“, lautet das abschließende Lob der Trainerin.
Traum von der eigenen Ranch
Dianne Lindig-Lovett, selbst auf einer Ranch groß geworden
und von Kindesbeinen an Reiterin sowohl im Western- als auch Englisch-Sattel,
hat sich hier bei Bandera, „Cowboy Capital of the World“,
1999 ihren Lebenstraum erfüllt, zusammen mit ihrem Mann Peter
eine eigene Ranch zu kaufen.
Ihr Ziel ist es, ihren Gästen nicht nur anspruchsvolles Reiten
zu vermitteln, sondern auch die besondere Verbindung zu Pferden
näher zu bringen. Seit dem Jahr 2000 betreibt sie ihr Unternehmen,
das im Unterschied zu den Guest Ranches ganz bewusst „Equestrian
Lodge“ getauft wurde. Insgesamt rund 40 Gäste finden
dort in großzügig eingerichteten „Cabins“
eine gemütliche und hochkomfortable Unterkunft, die keine
Wünsche offen lässt: Wohnzimmer mit Kamin, zwei Schlafzimmer
mit je einem Bad und eine Küche mit allen notwendigem Equipment
inklusive Geschirrspüler. Vor der überdachten Veranda
lädt ein großer Grill dazu ein, saftige Steaks zu braten.
Für kalte Tage gibt es drinnen einen Kamin, uns ist in sommerlicher
Hitze aber eher nach einer Abkühlung im Swimmingpool und
Relaxing im Whirlpool.
„Speziell für uns Großstädter, die auch
viel arbeiten, ist die Lodge der ideale Ort, um einfach komplett
abzuschalten. Kein Handy-Empfang, kein Computer, abends den Grill
anwerfen und saftige Steaks beim Sonnenuntergang in völliger
Stille genießen. Man hört nur die Vögel pfeifen
und gelegentlich grast ein frei laufendes Pferd ganz nahe an unserer
Cabin. Das alles strahlt so viel Ruhe aus - das ist für uns
Entspannung total“, erklärt Heming begeistert und freut
sich heute schon auf die nächsten Ferien bei Dianne.
Zwölf Pferde unterschiedlichen Temperaments und Ausbildungsstandes
stehen für Unterricht in allen Western-Disziplinen, Dressur
und Springen zur Verfügung, geritten wird auf einem Reitplatz
oder einer großen Wiese. Dianne bietet nicht nur Einzel-,
sondern auch Gruppenstunden, Wochenend- und Fünftages-Kurse,
Kinder Reit-Camps sowie – für Fortgeschrittene –
auch Rinderarbeit. Ein weiteres Highlight sollen Trail Ride ins
wunderschöne angrenzende Gelände sein. Hier warten 60
Kilometer Reitwege und spezielle Campingplätze für Reiter
in der rund 5.400 Acres – das sind gut 285 Hektar –
großen Hill Country State Natural Area (http://www.tpwd.state.tx.us/state-parks/hill-country)
auf pferdebegeisterte Besucher. Die Wege sind auf einer übersichtlichen
Karte sogar mit Meilenangaben verzeichnet. Besitzer eigener Pferde
können diese auch zu Dianne mitbringen und selbstständig
auf Tour gehen.
„Don’t sit on my horse like a dude!“
In freudiger Erwartung treffen wir uns am Nachmittag mit unseren
Pferden im Roundpen, um zu sechst – mein Mann Lars ist als
erfahrener Reiter noch hinzugekommen – auf den etwa zweistündigen
Trail Ride zu gehen. Den amerikanischen Versicherungsbestimmungen
– Safety first - entsprechend geht es ein wenig militärisch
organisiert im Gänsemarsch los. Jeder bekommt seinen Platz
zugewiesen, den er, da gibt es kein Vertun, für den Rest
des Rittes nicht zu verlassen hat. Entspannung im Sattel ist auch
im Gelände nicht erwünscht, wie der im Gegensatz zum
sonst so freundlichen Umgangston harsche Kommentar Diannes auf
meinen eher an John Wayne erinnernden Westernsitz und einhändige
Zügelführung vermuten lässt: „Doris, you
are sitting in the saddle like a dude!“. Und ein „Dude“
ist in ernsten amerikanischen Reiterkreisen eher ein Schimpfwort
für Leute, die à la City Slickers nur gelegentlich
im Urlaub reiten, in Ermangelung besseren Wissens und der nötigen
Ausrüstung auch gerne in kurzen Hosen… „Erinnert
Euch daran: Ihr seid nicht nur Reiter, sondern auch immer Trainer
eurer Pferde“, begründet Dianne ihre Kritik an meiner
Schlamperei. Na dann, Kopf hoch, Bauch rein, Brust raus und das
deutliche Einatmen nicht vergessen…
Langsam durchs Gelände schlendern
Der überwiegend aus Anfängern bestehenden Gruppe entsprechend
bewegen wir uns eher gemächlich im Schritt, ergänzt
durch kurze Trabreprisen, durch die Landschaft. Diese kann man
dabei ausgiebig genießen: Das Gelände ist leicht hügelig,
die Böden sind teilweise sandig, teilweise steinig, weswegen
einige Pferde Hufschuhe tragen. Die Vegetation ist halbwüstenartig
mit dürren Sträuchern und Agaven-artigen Gewächsen,
einmal schlängelt sich der Weg unter tief hängenden
Bäumen, dann öffnet er sich wieder und gibt von einem
Hügel aus den Blick auf die texanische Weite frei. Bei einer
kurzen Pause erklärt uns Dianne die geologische Eigenart
des Parks, dessen Fossilienfunde von Krabben und Schnecken immer
noch an die ozeanischen Ursprünge erinnern.
Es ist ein bisschen schade, dass die Aussage aus dem Informationsvideo,
die Ausreitgruppen ihren Fähigkeiten entsprechend zusammenzustellen,
bei uns (warum auch immer) nicht geklappt hat. Wir hätten
gerne die schönen Sandwege und teilweise Wiesen zu munteren
Galoppaden genutzt.
Allerdings wurden die Ausritte später doch noch spannender,
wie Heming, den ich nach seinem abgeschlossenen Horsemanship-Kurs
noch einmal telefonisch interviewe, erzählt: „Nach
den Vormittagsstunden haben wir nachmittags auch im Gelände
richtig trainiert, zum Beispiel das Angaloppieren geübt.
Auf geraden Wegen hat das auch Diane, die anfangs etwas ängstlich
war, sehr gut gemeistert. Als krönenden Abschluss gab es
am letzten Tag einen Ganztagesritt“.
Nach den Erfahrungen aus der Unterrichtsstunde und dem Ausritt
eignet sich die Hill Country Equestrian Lodge überwiegend
für engagierte Reiter(innen), die ihre Reitkenntnisse im
Westernstil verbessern wollen. Auch wer einen Partner hat, der
hier die Anfänge des Westernreitens in dafür typischer
Umgebung, aber dennoch mit konzentriertem Unterricht, erlernen
soll, ist hier sicherlich sehr gut aufgehoben.
Neben den reiterlichen Aktivitäten bleibt noch genügend
Zeit, dem Örtchen Bandera einen Besuch abzustatten. Dass
die kleine Stadt zu ihrem Image als “Cowboy Capital of the
World” steht, erkennt der Ankömmling bereits an den
vielen aus schwarzem Metall gearbeiteten Ranch Cowboy Scherenschnitt-Motiven,
mit denen die Laternenpfähle geschmückt sind: Lasso-schwingende
Reiter auf der Jagd nach einem Rind, Rodeo Szenen und Barrel Racer
sind nur wenige Beispiele.
Eine Kollektion von rund 40.000 Exponaten aus Pionierzeiten und
Ranch-Leben bietet das Frontier Times Museum. Hier findet man
allerlei Kurioses, von der alten Frisierkommode über Trophy-Westernsättel
von Rodeo-Veranstaltungen, ein ausgestopftes Gürteltier und
eine Vielzahl von Stacheldrahtvarianten, dessen Erfindung und
erste Patentierung im Jahr 1873 erfolgte.
Nach dem Kultur- und Shopping-Genuss bietet sich ein Besuch im
Old Spanish Trail Restaurant an, von Einheimischen kurz OST genannt.
Es versetzt einen mit einem Schlag in die alten Zeiten der Cattle
Trails, als verstaubte Cowboys Rast machten, ihre Pferde vor der
Tür parkten und mit rauer Stimme „Whiskey“ orderten.
Es gibt ein Buffet vom sog. Chuck Wagon, einem alten Küchenwagen,
außer an normalen Stühlen und Tischen bieten Westernsättel
an der Bar bequeme Sitzgelegenheiten, jedenfalls für begeisterte
Anhänger dieser Reitsportdisziplin, die sich so schon einmal
gebührend auf die kommenden Ranch-Erlebnisse vorbereiten
können.
Wem es nach einem typischen Cowboy-Abend gelüstet, in einer
gemischten Menge von wettergegerbten Stetson- und Westernstiefel-Trägern
sowie live Country Music mit Dancing, der hat jeden Mittwochabend
in der „11th Street Cowboy Bar“ bei der „Wednesday
Steak Night“ ausreichend Gelegenheit für texanische
Sozialkontakte. Wie im bayerischen Biergarten bringen sich die
Gäste ihr Essen – typischerweise Steaks – selbst
mit und lassen sie auf großen Grillflächen bruzzeln.
Salat, Baked Potatoes und andere Beilagen gibt es für kleines
Geld an einem Büffet ebenso wie alle Arten von alkoholfreien,
schwächeren und stärkeren Getränken. Die Stimmung
ist fröhlich, die Musik örtlicher Country-Größen
nicht zu laut und die Luft angenehm mild. Eine schöne Gelegenheit,
den Tag ausklingen zu lassen.
Text & Bilder: Doris Jessen
Doris Jessen ist Fachjournalistin und betreut deutschlandweit
Kunden zu den Themen Pferdesport sowie Informationstechnik.
Seit Juli 2010 betreibt sie außerdem das Online-Portal für mobile
Reiter und Pferde www.mit-pferden-reisen.de.