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Regulationstherapie
Schließlich muss man sich im Klaren sein, dass
manche Leiden mit Akupunktur nicht zu beheben sind, andere wiederum hervorragend
damit behandelt werden können. Woran liegt das? Hierzu muss man wissen, dass es
sich bei der Akupunktur um eine Regulationstherapie handelt, die darauf ausgerichtet
ist, eine Imbalance im Körper auszugleichen. Nur ein Drittel aller Krankheiten
werden in China allein mit Akupunktur behandelt. Die Akupunktur ist also keine
Therapie, mit der alles geheilt werden kann. Grundsätzlich kann man davon ausgehen,
dass Störungen und Krankheiten mit Akupunktur sehr gut heilbar sind, wenn noch
keine Strukturen zerstört wurden. Zerstörte körperliche Regionen sind nicht mehr
reparabel, gestörte hingegen sind wierderum gut regulierbar. Somit wird die Akupunktur
insbesondere auch präventiv eingesetzt, damit die Krankheit erst gar nicht entstehen
kann. Hierfür sorgt der Behandler dafür, dass das „Qi“ – im westlichen Sprachgebrauch
meist mit dem Wort „Energie“ übersetzt – ungehindert fl ießen und somit die Körperbalance
aufrecht erhalten werden kann. Nach dem Verständnis der Chinesen ist ein Körper
krank, wenn er sich im Ungleichgewicht befi ndet. Gesundheit bedeutet ein Gleichgewicht
von Yang und Yin. Beispiele für diese Begriffe sind Tag und Nacht, Hell und Dunkel,
Hitze und Kälte, Fülle und Leere oder Außen und Innen. Das eine kann ohne das
Andere nicht existieren, denn wo Licht ist, gibt es auch Schatten und wenn es
ein Innen gibt, muss es auch ein Äußeres geben.
Für die Chinesen gibt
es verschiedene Arten von Energie oder Qi: Jedes Lebewesen bekommt einen gewissen
Energievorrat über das Erbgut bei der Geburt mit. Dieses so genannte „Ursprungs-“
oder „Yuan-Qi“ kann nicht gesteigert werden. Man kennt aber noch weitere Arten
von Qi, so die Energie, die über die Nahrung (Nahrungsoder Gu-Qi) und Atmung aufgenommen
wird, wodurch der Körper für alle Lebensfunktionen Energie zur Verfügung hat.
Als Beispiel kann hierdurch das Abwehr-Qi („Wei-Qi“) gebildet werden, das im westlichen
Sprachgebrauch als Immunsystem bezeichnet wird.
Energie in Balance
Das Qi wiederum fl ießt in bestimmten Energieleitbahnen, den so genannten Meridianen,
durch den Körper. Diese Meridianverläufe waren für lange Zeit umstritten, sowohl
deren Lage als auch deren Existenz überhaupt. Mittlerweile konnte man diese Energieleitbahnen
aber auch wissenschaftlich nachweisen, wobei man feststellte, dass sich Substanzen,
die man in Akupunkturpunkte gespritzt hatte, entlang der Meridianverläufe viel
schneller ausbreiteten als dieselbe Substanz, die an wahlloser Stelle injiziert
wurde. Die Verteilung der Substanz, die nicht in Akupunkturpunkte gespritzt wurde,
geschah wesentlich langsamer und nicht zielgerichtet. Wenn sich nun in den Meridianen
Blockaden und Energiefl ussstörungen entwickeln, führt dies zu Energiedysbalancen
und schließlich zu Krankheiten. Eine Energiefl ussstörung kann man sich beispielsweise
vorstellen wie ein Fluss, der durch Unrat, Abfall oder Holz angestaut wird. Vor
der blockierenden Stelle bildet sich ein Überangebot an Wasser, ein ganzer (Stau-)See
also, während hinter der Blockade möglicherweise nur noch ein kleines Rinnsal
übrig bleibt. Die Chinesen sprechen dabei von einem Füllebeziehungsweise Leere-Zustand.
Mit der Stimmulierung bestimmter Akupunkturpunkte kann aus den Meridianen Energie
zugeführt oder abgeleitet werden. Auf diese Weise kann das Qi wieder harmonisiert
werden.
Wenn der Therapeut nun einen Punkt stimmuliert, beeinfl usst er
damit nicht nur den Meridian, auf dem der Punkt liegt, sondern auch dessen Nachbarmeridiane
und Leitbahnen, die über Querverzweigungen mit diesem in Verbindung stehen. Eine
genaue Kenntnis der Meridianverläufe, Lage und Wirkung der Akupunkturpunkte ist
deshalb vonnöten, um eine erfolgreiche Akupunktur zu betreiben.
Die
Energieleitbahnen
Die Lage der Meridiane bestimmt auch dessen Zuordnung
als Yin- oder Yang-Meridian. Jeder Meridian hat einen Partnermeridian, wobei der
eine als Yangleitbahn, der andere als Yin-Leitbahn eingestuft ist. Die Meridiane,
die innen (in der Regel an den Beininnenseiten) und unten (am Bauch) des Pferdes
verlaufen, also im „Schattenbereich“ – denn die Sonne scheint von oben auf das
Pferd – liegen, sind Yin-Meridiane. Alle Energieleitbahnen, die entlang den Außenseiten
der Beine und am Rücken verlaufen, zählen zu den Yang-Meridianen. Es gibt zwölf
paarig (an jeder Körperseite) angelegte Leitbahnen. Die Energie fl ießt wie in
einem Kreislauf durch diese Meridiane, wobei jeweils zwei Yang-Meridiane auf zwei
Yin-Meridiane, dann wieder zwei Yang-Meridiane folgen. Zu den paarigen Leitbahnen
gibt es noch unpaarige Sondermeridiane, die ebenfalls spezielle Funktionen erfüllen
und für den Therapeuten wichtige Quellen der Einfl ussnahme auf den Körper des
Pferdes darstellen.
Auf den Meridianen liegen die so genannten Akupunkturpunkte.
Diese Akupunkturpunkte bestehen aus einem Gefl echt von Nervengefäßen, die durch
die Körperfaszie treten und somit bis zur Haut vordringen. Diese Nerven-Gefäß-
Bündel sind in wasser- und elektrolytreiches Bindegewebe eingebettet, das einen
starken elektronegativen Ladungsüberschuss hat. Akupunkturpunkte haben einen geringeren
elektrischen Widerstand als die umgebende Haut.
Somit kann man auch mit
so genannten Punktsuchgeräten die Akupunkturpunkte ausfi ndig machen, was im Gegensatz
zum Menschen allerdings beim Pferd wegen der störenden Felloberfl äche kaum funktioniert.
Der Therapeut muss demnach die Lage der Akupunkturpunkte gut kennen und sich in
letzter Konsequenz auf seinen geschulten Tastsinn verlassen.
Punkt
für Punkt
Die Akupunkturpunkte haben unterschiedliche, häufi g aber
sehr vielseitige Wirkungen. Sie nehmen Einfl uss auf verschiedene Körperfunktionen
und können ihre Wirksamkeit oft mit der Kombination bestimmter anderer Punkte
auch verstärken. Die Punkte sind auf den jeweiligen Meridianen mit Zahlen versehen,
verfügen allerdings noch über unterschiedliche Zusatzbezeichnungen, die ihre Wirkungsrichtung
ausdrücken. So kennt man neben den Anfangs- und Endpunkten auch Luo-, Quell-,
Tonisierungs-, Sedations-, Mu- und Shupunkte. Nicht alle Punkte müssen auf dem
zugehörigen Meridian liegen, so sitzen die Shuoder Zustimmungspunkte allesamt
auf dem Blasenmerdian, der am Rücken entlang läuft. Etwa eine Handbreit seitlich
der Wirbelsäule befi nden sich die Shu-Punkte entlang des inneren Astes des Blasenmeridians.
Diese Punkte sind beispielsweise hervorragende diagnostische Punkte, die dem Therapeuten
bei Empfi ndlichkeit wichtige Hinweise für seine Therapie geben. Je nach therapeutischem
Vorgehen können die Assoziationspunkte aber auch für die Therapie genutzt werden.
Dem noch lange nicht genug der TCM-Theorie: Jeder Meridian ist einer so genannten
Wandlungsphase zugeordnet. Man kennt hierzu fünf Elemente: Holz, Feuer, Erde,
Metall und Wasser. Diesen Elementen zugehörig sind spezielle Entsprechungen. Jeweils
ein Yin- und ein Yang-Meridian ist einem Element zugeordnet, zu denen weiteren
Entsprechungen gehören: Sehen wir uns diese Zuordnung an einem Beispiel an: Die
Meridiane „Leber“ und „Gallenblase“ gehören dem Element Holz an. Weitere Entsprechungen
hierzu sind als Sinnesorgan das Auge, als körperliches Gewebe die Sehnen, als
Gefühlsbewegung der Zorn oder Ärger, als Jahreszeit der Frühling, als klimatischen
Einfl uss der Wind sowie als Farbe Grün. Mit diesen und weiteren Zugehörigkeiten
kann man beispielsweise feststellen, welche Meridiane bei bestimmten Erkrankungen
gestört sein könnten. Wenn ein Juckreiz mal stärker, mal schwächer und an verschiedenen
Körperstellen auftritt, sprechen die Chinesen von einer Winderkrankung (= Element
Holz). Tritt die Krankheit vornehmlich im Frühjahr auf, passt die zweite Entsprechung
auf das Element Holz, so dass man auf eine Störung im Leber- und seinem Partner
dem Gallenblasenmeridian rückschließen kann. (Natürlich hat das Pferd keine Gallenblase,
allerdings die Funktion einer solchen und deshalb auch den entsprechenden Meridian.)
Eine typische Störung des Holz-Elementes zeigt ein Pferd aus meiner praktischen
Therapeuten- Tätigkeit: Eine zehnjährige Warmblut-Fuchsstute hat immer wieder
Sehnenprobleme, die sich im Frühjahr verstärken. Das Pferd wird charakterlich
als besonders „zickig“, unzufrieden und ärgerlich beschrieben, was auch bei der
Behandlung deutlich wird. Sie psychischen und Schmerz-Symptome verstärken sich
windigem Wetter. Zusätzlich stellte sich dann auch vermehrter Tränenfl uss ein
(Bezug zum Auge). Auch die Untersuchung der diagnostischen Akupunkturpunkte deuten
auf eine Störung im Element Holz – sprich im Leber- und Gallenblasenmeridian hin.
Nachdem diese Leitbahnen mit Hilfe der Akupunktur harmonisiert wurden, besserten
sich sowohl die psychischen als auch die körperlichen Beschwerden nachhaltig.
Natürlich wurde die angeschlagene Sehne zusätzlich auch physiotherapeutisch versorgt.
Man sieht also, dass die TCM nicht nur körperliche, sondern auch äußere und psychische
Faktoren mit einbezieht. Die Komplexität der Therapieform wird dadurch noch verdeutlicht,
dass viele unterschiedliche Faktoren voneinander abhängen und sich gegenseitig
beeinfl ussen. Im zweiten Teil der Folge über die Akupunktur- Therapie beschäftigen
wir uns näher mit den verschiedenen Akupunkturpunkten, deren Wirkung und wie diese
stimmuliert werden können.
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Veröffentlichung Fuß: Empfehlungen
für Planung, Bau und Instandhaltung von Reitplätzen im Freien
Quelle: Renate
Ettl für westernreiter (EWU)
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