Teil
1: Kleine Stiche mit großer Wirkung: Akupunktur
Teil
2: Bewertung nach Punkten: Akupunktur Teil
3: Triggerpunkttherapie: Wenn Muskeln
unter Stress stehen Teil
4: Wärmetherapie |
Mit Hilfe von Akupunkturpunkten können Störungen in den Meridianen sowohl
diagnostiziert als auch therapiert werden. Manche Punkte eignen sich sowohl für
die Diagnose als auch für die Therapie, andere wiederum sind rein therapeutische
Punkte.
Die Behandlung eines Pferdes mit Akupunktur kann aufgrund
seiner Komplexität nicht nach einer bestimmten Rezeptur erfolgen. Es funktioniert
in der Regel nicht, dass man beispielsweise bei einer auftretenden Störung stets
einen einzigen Punkt stimuliert. Alle Punkte haben zum einen verschiedene Wirkungen,
zum anderen sind sie oft nur in Verbindung mit anderen Punkten sinnvoll. Wie bereits
im Teil 1 des Artikels (Westernreiter Dezember 2007) dargestellt, fl ießen außerdem
noch jede Menge weiterer Entsprechungen in die Punkteauswahl mit ein: Tritt die
Problematik an bestimmten Tages- oder Jahreszeiten auf? Als welchen Typen schätzt
man das Pferd ein? Wo sind die Ursachen zu suchen? Haben die Probleme andere Symptome
ausgelöst oder entstanden sie dadurch?
Verschiedene Pferdetypen
Der Pferdeakupunkteur stuft das Pferd zunächst in einen Typen ein. Man unterscheidet
fünf verschiedene Pferdetypen, die unterschiedliche Charaktere aber auch Äußerlichkeiten
beinhalten.
Der Gan- oder Lebertyp ist ein unerschrockenes, dominantes,
mutiges, aber auch ärgerliches und aggressives Pferd. Es sind sehr gut bemuskelte,
„im Lack stehende“ Pferde mit einem relativ hohen Muskeltonus. Stuten, die im
Gan-Typ stehen, sind oft besonders „zickig“. Gan-Pferde neigen zu Muskelverspannungen,
sind launisch und nutzen Reiterfehler gnadenlos aus. Sie testen ihre Grenzen aus
und brauchen deshalb eine konsequente, aber faire Erziehung. Dem Gan-Typen spricht
man außerdem die Neigung zu Krampf- und Stresskoliken sowie Bindehautentzündungen
und geröteten Schleimhäuten zu.
Der Shen- oder Nieren-Typ ist sehr eifrig,
lernbereit, aber auch ängstlich. Er fühlt sich oft überfordert und alles Neue
ist aufregend. Sie lehnen sich gerne an andere Pferde an, sind meist nicht dominant
und sind in der Herde gut verträglich. Nierenpferde frieren schnell, sie sind
also kälteempfi ndlich und sehen häufi g kümmerlicher aus als ihre Artgenossen.
Shenpferde lernen leicht, können sich aber nicht lange konzentrieren und bringen
Lektionen schon mal durcheinander. Das Pferd im Nieren- Typ ist sehr menschenbezogen
– extreme Shen- Typen fressen nur, wenn ihre Besitzer da sind. Der Milz- oder
Pi-Typ ist gemütlich, brav, ruhig und ausgeglichen. Sie sind gleichmütig, manchmal
auch faul, phlegmatisch und lernen langsam. Sie sind als optimale Anfängerpferde
gekennzeichnet. Milz-Typen neigen zu Ödemen (angelaufene Beine), zeigen häufi
g nasse Schleimhäute, haben fast immer eine schlaff herabhängende Unterlippe und
eine große weiche Zunge. Sie sind oft verfressen und darum auch häufi g übergewichtig.
In der Herde sind sie unauffällig und siedeln sich von der Rangfolge her mehr
in der Mitte an.
Der Xin- oder Herz-Typ ist ein Pferd, das sich über Kleinigkeiten
furchtbar aufregen kann. Sie haben ein überschäumendes Temperament und lassen
sich bei plötzlichen Erregungszuständen nur schwer wieder beruhigen. Xin-Typen
schwitzen oft nach und sind oft unberechenbar. Trotzdem sind sie im Normalzustand
ruhige Pferde und sind nicht grundsätzlich ängstlich.
Der Fei- oder Lungen-Typ
kennzeichnet sich durch seine Ausgeglichenheit und Arbeitsfreude. Fei-Typen behalten
den Überblick, sind Neuem gegenüber vorsichtig, aber nicht ängstlich. Sie haben
ein trockenes Exterieur, einen eher unauffälligen Körperbau, wenig Muskulatur
und außerdem oft trockene, schuppige Haut. Sie sind selbstsicher, klug, sachlich,
leistungsbereit und kontaktfreudig. Lungen-Pferde neigen zu kurzer, oberfl ächlicher
Atmung und allgemein zu Atemwegsproblemen. Außerdem können diese Pferde vermehrt
Probleme im Verdauungstrakt haben.
Der Charakter eines Pferdes kann natürlich
nicht verändert werden, allerdings lassen sich die Typen über die zugeordneten
Akupunkturpunkte psychisch ausgleichen. Eine übermäßige Aggressivität des Leber-Typen
kann mit dem Punkt „Leber 3“ ausgeglichen werden. Er befi ndet sich an der Innenseite
der Hinterbeine. Dem Lungen-Typ ist der Punkt „Lunge 7“ an den Innenseiten der
Vorderbeine als psychischer Ausgleichspunkt zugeordnet. Den Herz-Typen kann man
mit dem Punkt Pericard 6 oder Herz 7 ausgleichen. Bei Milz-Typen hat man mit dem
Punkt Milz-Pankreas 6 Erfolge, während die Nieren-Typen auf den Punkt Niere 3
gut ansprechen.
Die Zustimmungspunkte am Rücken
Als diagnostische
Punkte werden häufi g die am Rücken befi ndlichen so genannten Shu-Punkte, die
sich alle auf dem inneren Ast des Blasenmeridians befi nden, verwendet. Die Reaktion
auf die jeweiligen Punkte zeigen Energiefl ussstörungen in den jeweiligen Meridianen
an. Auch sind Regionen betroffen, über die diese Meridiane ziehen. So kann der
Punkt Blase 23, der der Zustimmungspunkt der Niere ist, anzeigen, wenn das Pferd
Spatprobleme hat, weil der Meridian über das Sprunggelenk zieht.
Hinter
dem Schulterblatt beginnen die Shu- Punkte mit Blase 13, dem Zustimmungspunkt
der Lunge. Blase 14 – etwa zwei Fingerbreit daneben – kennzeichnet den Shupunkt
des Pericard, Blase 15 ist de Shu-Punkt des Herzens.
Alle drei Punkte
reagieren unter anderem bei Vorhandlahmheiten und Sattelproblemen. Häufi g fi
ndet man auch die Punkte Blase 18 und 19 reaktiv, die Shu-Punkte für Leber und
Gallenblase. Leber und Gallenblase haben über das Element Holz einen Bezug zu
Winderkrankungen (z.B. Ataxien). Blase 18 (zwischen dem 13. und 14. Intercostalraum
gelegen) zeigt auch an bei Augenproblemen, Unausgeglichenheiten des Leber-Typen
(Ärger) und brüchigen Hufen. Blase 19 (Shu-Punkt Gallenblase) hat außerdem einen
Bezug zum Hüftgelenk beziehungsweise zu Hinterhandlahmheiten im Allgemeinen.
Vor der letzten Rippe fi ndet man den Shu-Punkt Blase 20 für die Milz hinter der
letzten Rippe den Punkt Blase 21 für den Magen. Blase 20 zeigt an, wenn das Pferd
Verdauungsprobleme, Durchfall, Ödeme oder Hinterhandprobleme hat. Häufi g ist
auch der Shu-Punkt des Magens reaktiv bei Pferden, die Hinterhandprobleme, Magengeschwüre
und Stress haben. Aus meiner therapeutischen Praxis kann ich berichten, dass der
Shu-Punkt des Magens sehr häufi g anzeigt und diese Reaktion fast immer mit Stressproblematiken
zusammenhängen. Dabei können die unterschiedlichsten Faktoren Auslöser von Stress
beim Pferd sein. Zwar denkt man in erster Linie gleich an Turnierstarts, Rennen
und dergleichen, doch diese Aspekte sind nur ein kleiner Teil von Stressoren,
denen das Pferd ausgesetzt sein kann. Nicht selten führen falsche Fütterung und
Haltungsbedingungen zu Dauerstress beim Pferd – und diese sind häufi g nicht sofort
offensichtlich erkennbar.
Der Punkt Blase 22 ist der Zustimmungspunkt
für den 3-Erwärmer – reaktiv bei Vorhand-, hormonellen und gynäkologischen Problemen.
Der Shu-Punkt der Niere ist Blase 23, der bei Sprunggelenksproblemen, Kälteempfi
ndlichkeiten und Angst anzeigt. Blase 25 und 27 sind dem Dickdarm und Dünndarm
zugeordnet, die bei Verdauungsproblemen (Koliken, Durchfall, Verstopfung etc.)
reaktiv sind. Blase 28 als Zustimmungspunkt der Blase reagiert bei Rückenverspannungen,
schulmedizinischen Blasenerkrankungen und Hinterhandlahmheiten.
Akupunkturpunkte
zur Therapie
Um die Punkte exakt zu lokalisieren bedarf es einiger
Übung. Mit der Typeinstufung des Pferdes, den Reaktionen der Shu-Punkte und den
äußerlichen Anzeichen können schon Hinweise auf bestimmte Störungen festgelegt
werden. Der Akupunkteur legt dann eine Auswahl von therapeutischen Punkten fest,
die der Störung entgegenwirken.
Es gibt einige hundert Akupunkturpunkte,
viele mit unterschiedlichen Wirkungsweisen, so dass ein kurzer Überblick kaum
möglich ist. Doch einige wichtige Akupunkturpunkte, die sehr häufi g zur Anwendung
kommen, sollen hier als Beispiele für bestimmte Wirkungsweisen vorgestellt werden.
Einer der wichtigsten Punkte überhaupt ist Magen 36, den man im vorderen
Drittel des Wadenmuskels des Pferdes fi ndet. Er ist stark energieliefernd und
soll einen Läufer dazu befähigen, drei Dörfer weiter zu laufen. Deshalb wird dieser
Punkt auch der „Punkt der drei Dörfer“ genannt. Eine Stimulation dieses Punktes
vor größeren Anstrengungen (Turnier, Rennen) kann darum sehr sinnvoll sein. Magen
36 verteilt die Flüssigkeiten und löst Ödeme auf. Darum ist er auch angezeigt
bei Pferden, die zu angelaufenen Beinen neigen. Er dient außerdem als Fernpunkt
fürs Auge und Nahpunkt fürs Knie. Er ist zudem der Meisterpunkt für die Verdauung.
Der Punkt Gallenblase 20 liegt hinter der Ohrmuschel und ist selbst für den Laien
leicht zu fi nden. Dieser Punkt reagiert, wenn das Pferd Probleme im Genick hat,
ist aber auch ein diagnostischer Punkt für Probleme im kontralateralen Hüftgelenk.
Gb 20 ist der beste Punkt um Wind auszuleiten (also anzuwenden bei allen Winderkrankungen,
wie z.B. Headshaker). Er lindert Nackenschmerzen und Genicksteife, hilft bei Augen-
und Ohrenerkrankungen und bei fi ebrigen Infekten.
Nicht selten fi nden
Reiter den Punkt Milz-Pankreas 21 reaktiv. Man fi ndet ihn, wenn man eine Linie
vom Schultergelenk zum Hüfthöcker zieht auf Höhe der Gurtlage. Mit Stimulierung
dieses Punktes, der sich mehr als Areal herausstellt und darum gut mit dem Handballen
zu bearbeiten ist, kann man Überempfi ndlichkeiten beim Putzen und Satteln begegnen.
Angezeigt ist MP 21 auch bei extremer Hautempfi ndlichkeit. Er wirkt
stärkend und aufbauend und hat eine Wirkung auf die kleinen Blutgefäße. Darum
ist er auch bei Hufrehe ein sinnvoller Punkt. Den Punkt behandelt man außerdem
bei Rückenschmerzen, Emphyseme und generalisierte Muskelschmerzen.
Interessant
sind auch die Punkte Dickdarm 4 und Blase 60. Dickdarm 4 liegt auf der Innenseite
des Vorderbeins und verdient sich den Beinamen „vorderer Aspirinpunkt“, weil er
sehr schmerzstillend wirkt. Zudem löst Di 4 einen Stau im zugehörigen Meridian,
ist ein Fernpunkt für den Kopfbereich, vertreibt Wind und Hitze, harmonisiert
die Lungenfunktion, ist angezeigt bei Allergien (hier auch Lunge 7), ist ein motorischer
Punkt des dorsalen Anteils des Fesselträgers und hilft bei fi ebrigen Erkrankungen.
Er stärkt das Qi und ist immunstimulierend.
Blase 60 ist am Sprunggelenk
zu fi nden und wird aufgrund seiner schmerzstillenden Wirkung auch „hinterer Aspirinpunkt“
genannt. Er ist vor allem bei chronischen Rückenproblemen, bei Sehnenproblemen,
Spatschmerzen und bei Entzündungen angezeigt. Er löst außerdem einen Stau im Blasenmeridian
(in diesem Fall zeigen alle Shu-Punkte Reaktionen). Blase 60 ist zudem ein Fernpunkt
für Genickschmerzen.
Fingerdruck, Nadeln oder Laser?
Wenn Ihr Pferd bestimmte Probleme hat, können Sie sich von einem erfahrenen Akupunkteur
die für Ihr Pferd relevanten Punkte zeigen lassen und diese selbst akupressieren.
Der Fingerdruck auf die Akupunkturpunkte ist zwar meist nicht so wirksam, weil
viele Punkte nicht direkt unter der Haut, sondern etwas tiefer liegen und deshalb
mit dem Fingerdruck nicht so gut erreichbar sind. Die Akupressur kann also nur
unterstützend erfolgen. Besser ist sicherlich die Behandlung mit den traditionellen
Akupunkturnadeln, die man einem Fachmann überlassen sollte.
Alternativ
ist auch die Behandlung mittels Laser möglich. Man spricht davon, dass die Laserakupunktur
der Nadelakupunktur in der Wirkung gleichzusetzen ist. Mit dem Laser, der allerdings
eine gewisse Leistung und Eindringtiefe haben muss, kann allerdings immer nur
ein Punkt behandelt werden. Die Punkte müssen deshalb hintereinander stimuliert
werden, während man bei der Nadelakupunktur mehrere Punkte gleichzeitig behandeln
kann. Die Vorteile des Lasers wiederum liegen darin, dass die Akupunktur völlig
schmerzfrei durchgeführt werden kann, keine Haut verletzt wird, und somit auch
keine Infektionsgefahr für das Pferd besteht.
Die Akupunktur ist ein weites
Feld und benötigt viele Monate und Jahre des Studiums, bis man diese ausreichend
beherrscht. Gute Akupunkteure erzielen teils erstaunliche Erfolge.
Trotzdem
ist die Akupunktur kein Allheilmittel, sondern als sinnvolle, zusätzliche Therapie
unter vielen weiteren Behandlungsmöglichkeiten des Pferdes zu sehen.
Quelle: Renate
Ettl für westernreiter (EWU)
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Petra Roth-Leckebusch für den Bereich Zucht. Zum
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